Mittwoch, 16. April 2014

Von Piratenprinzessinnen und falschen Westseebräuten

Neulich habe ich ein Buch fürs große Schulkind bestellt, als ich ein neues Rezensionsexemplar bei Blogg dein Buch auswählen durfte. Dieses Mal war etwas fürs kleine Schulkind dran: Leinen Los, Seeräuber-Moses von einer der ganz Großen im Kinderliteraturgeschäft: Kirsten Boie. Das kleine Schulkind liebt zwar Vorlesen über alles, aber Hörspiele sind ebenfalls eine seiner großen Leidenschaften. Deshalb waren diese 5 CDs vom Verlag Jumbo Medien auch genau das Richtige für meinen Sohn. 430 Minuten Spielzeit bringen aber nicht nur den Kindern viel Spaß, sondern gleichzeitig auch den Eltern eine Menge freie Zeit - oder die Möglichkeit, am Wochenende ausnahmsweise mal auszuschlafen, während der kleine Frühaufsteher schon mit Käptn Klaas, Olle Holzbein, Haken-Fiete und all den anderen echte Piratenabenteuer erlebt :-)


Was jetzt nach einer klassischen Seeräubersaga klingt, entpuppt sich jedoch bereits nach kurzem Zuhören als eine ganz und gar ungewöhnliche Geschichte mit einigen unerwarteten Wendungen, denn nichts ist so, wie es anfangs scheint. Alles beginnt damit, dass Käptn Klaas' wilde Piratenmeute eines Tages einen ganz besonderen Fang macht. Einen, der wie am Spieß brüllen kann und lacht, wenn man ihn am Kinn kitzelt. Ihren neuen, ganz besonderen Schatz nennen die Seeräuber "Moses", wie der biblischen Prophet, der als Baby ebenfalls auf dem Wasser als Findelkind ausgesetzt wurde - und von diesem Tag ist auf der "Wüsten Walli" nichts mehr so, wie es zuvor einmal war...
Puh! Ganze fünf CDs, ganz schön viel, dachte ich anfangs. Doch dann merkte ich beim Zuhören kaum, wie die Zeit verflog. Wie gebannt lauschten wir Karl Menrad, der all den verschiedenen Charaktere, vom wilden Seeräuberhauptmann Ubbo Wutwalle bis zur feinen Rosalinde Rosenduft, eine ganz eigene Stimme verleiht und sie so unwiderstehlich und unverwechselbar macht. Als gebürtige Sächsin musste ich vor allem schmunzeln, als gegen Ende der Geschichte ein Schmied auftauchte, der doch tatsächlich einen unverkennbar sächsischen Dialekt hat :-)
Haarsträubende Dinge geschehen auf der "Wüsten Walli", im königlichen Schloss, im Seeräuberdorf und in der Ritterburg, um nur einige der vielen Schauplätze der Geschichte zu nennen. Und was echte Piraten sind, wird da geskullt, kalfatert und gerefft, was das Zeug hält. Wie? Ihr versteht kein Wort? Kein Problem, denn diese und viele weitere Begriffe aus der Seemanns- und Piratensprache werden im beliegenden Booklet erklärt. Die meisten jedoch kann man sich denken, spätestens, wenn sie zum zweiten oder dritten Mal auftauchen. Und was man sich nicht denken kann, wird zwischendrin erklärt. Einfach so, mitten in der Geschichte, heißt es dann manchmal: "Und jetzt, wo die beiden gerade beschäftigt sind, kann ich euch schnell mal erzählen, was es mit ... auf sich hat, das ist nämlich...". Dann folgt eine kurze Erklärung, die das Buch auch ein bisschen zum Sachbuch macht, denn der Zuhörer erfährt dabei einiges über die Geschichte von Nord- und Ostsee, deren Landschaft, Bevölkerung, Sitten und Bräuche und vielem mehr. Auf diese Weise springt der Erzähler - ob nun Karl Menrad im Hörbuch oder der Vorleser beim Printbuch - immer wieder zwischen Geschichte und Zuhörern hin und her, ohne dass dies den Lesefluss in irgend einer Weise stören würde. Vor allem die direkte Ansprache der Leser bzw. Zuhörer hat mir wirklich gut gefallen, denn sie holt einen erst recht mitten ins Geschehen hinein. Außerdem können sich die Kinder auf diese Weise immer ein bisschen schlauer und wissender als die Charaktere der Erzählung fühlen, wenn Karl Menrad mutmaßt, dass sie sich dieses oder jenes bestimmt schon gedacht haben, die Piraten aber noch nicht darauf gekommen sind. Oder wenn er seine jungen Zuhörer zu einem kleinen Gedankenspiel ermutigt und sagt: "Und wenn ihr euch nun fragt, warum Moses und Hannes das alles immer zusammen machen, so müsst ihr euch das schon selber denken."
Neben all der Spannung und dem Witz und den Sachinformationen kommt auch das Gefühlsleben der Protagonisten nicht zu kurz. Immer wieder wird genau beschrieben, wie sich z.B. Moses' bester Freund Dohlenhannes oder die Königin gerade fühlen und wie sich ihre Empfindungen in ihren Worten und Gesichtern spiegeln. Ich denke, an dieser Stelle werden die Kinder gut abgeholt, denn viele Emotionen kennen sie selbst nur zu gut und erfahren hier, dass jeder, ob Kind, Pirat oder König, viele verschiedene Stimmungen und Gefühle hat und wie Moses und die anderen damit umgehen. Ein Beispiel: "Denn wenn man so richtig traurig ist, dann kümmern einen andere Menschen nicht mehr so sehr. Und andere Tiere kümmern einen dann erst recht nicht."
Mein Lieblingsabsatz ist übrigens folgender: "Das hatten ihr die Seeräuber beigebracht, dass man jeden Streit mit Worten regeln kann. Und bevor man seine Fäuste oder seinen Säbel rausholt, kann man es ja erstmal mit Schimpfwörtern versuchen." So wunderbar unpädagogisch muss ein richtig gutes Kinderbuch sein, jawoll! Auf Augenhöhe mit den Kindern, auf sie eingehend, aber nie belehrend oder mit erhobenem Zeigefinger. Aber Letzteres ist ja sowieso nie Kirsten Boies Intention. Was für ein Glück für die Kinder!

Fünf Sterne, also die Höchstpunktzahl, vergebe ich für diese wunderbare Geschichte aus Kirsten Boies Feder, liebevollen und gleichzeitig augenzwinkernd illustriert von Barbara Scholz, von Ulrich Maske mit piratenstarker Musik unterlegt und großartig interpretiert von Schauspieler und Sprecher Karl Menrad.

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